FN-Tierschutztag 2018: im Blickpunkt Tierschutz im Pferdesport, gesellschaftlicher Wandel und Umsetzung der Regelwerke

von LPBB

Podiumsdiskussion: v. l. Dr. Michael Köhler, Gerd Sosath, Dr. Dennis Peiler, Dr. Hopp, Dr. Christiane Müller | © LPBB

Anfang der Woche reisten Dr. Michael Köhler, Tierschutzbeauftragter des Landesverbandes Berlin-Brandenburg, Fachtierarzt für Pferde und FEI-Tierarzt, sowie die Geschäftsführer und Mitarbeiter der Geschäftsstelle des LPBB nach Warendorf, um sich zusammen mit den 150 Teilnehmern mit dem aktuellen Stand des Tierschutzes im Pferdesport und neuen Lösungswegen auseinanderzusetzen.

[Warendorf (fn-press)] Zum wiederholten Mal haben sich im Rahmen des FN-Tierschutztages Ausbilder, Richter, Turnierfachleute, Züchter, Aktive, Fachleute aus den Bereichen Veterinärmedizin und Pferdehaltung sowie Vertreter der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) zwei Tage lang über das Thema Tierschutz im Pferdesport ausgetauscht. Fußball-Schiedsrichter Lutz Wagner zog dabei Parallelen zwischen den Aufgaben der Referees im Stadion und der Richter im Pferdesport. Der neue EEF-Präsident Theo Ploegmakers blickte mit den Teilnehmern auf die Tierschutz-Debatte in den Niederlanden und Prof. Dr. Dietmar Hopp gewährte einen Einblick in den Alltag eines Amtsveterinärs. In einer praktischen Einheit zeigten Vielseitigkeitsreiterin Sandra Auffarth und Biologin Dr. Vivian Gabor, wie gut wissenschaftliche Erkenntnisse mit der klassischen Reitlehre vereinbar sind.

Rückblick:

Bereits im Jahr 2015 waren 130 Teilnehmer zur FN-Tierschutztagung gekommen. Schon damals standen die Richtlinien und Regelwerke im Mittelpunkt. Zum Auftakt der diesjährigen Tagung blickte FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach auf das was sich seitdem im Bereich Tierschutz im Pferdesport getan hat: „Ein Ziel 2015 war es, Wissen zu schaffen und die Sensibilität für das Thema Tierschutz zu erhöhen. Es ist uns sicherlich geglückt, dass das Bewusstsein für Tierschutz bei vielen, die sich mit dem Pferd befassen, mehr in den Mittelpunkt gerückt ist“, sagte Lauterbach.

Mit der Überarbeitung der Leistungs-Prüfungs-Ordnung wurde das Regelwerk noch mehr auf das Wohlergehen der Pferde ausgerichtet: Zum Beispiel wurde der Einsatz von Schlaufzügeln auf dem Vorbereitungsplatz eingeschränkt, die Formulierung zur Verschnallung des Reithalfters praxistauglicher gemacht und die Aufsicht auf den Vorbereitungsplätzen erhöht. Die FN hat sich aktiv an der Überarbeitung der Leitlinien Tierschutz im Pferdesport beteiligt und viele Landesverbände haben Veranstaltungen zusammen mit Amtstierärzten organisiert, um den Austausch miteinander zu fördern. Im Bereich Zucht haben sich alle Verbände gegen das Freispringen von Fohlen ausgesprochen und es als „nicht akzeptabel und daher verboten“ in der Zuchtverbandsordnung verankert. „Unter dem Strich lässt sich sagen, dass wir auf dem Weg zu einer verbesserten Situation rund um den Tierschutz im Pferdesport schon einiges geschafft haben“, sagte Lauterbach.

 

Aktuelle Situation:

Sind die Debatten über Tierschutz ein rein deutsches Phänomen? Mitnichten – so stellte es zum Auftakt der diesjährigen Tagung der Niederländer Theo Ploegmakers dar. Der neue Präsident der Europäischen Reiterlichen Vereinigung (EEF) und ehemalige Präsident des niederländischen Pferdesportverbandes (KNHS) berichtete über die Diskussionen in seinem Heimatland und machte deutlich, dass sich die Gesellschaft grundlegend verändert hat. „Viele Menschen wachsen nicht mehr mit Tieren auf und hatten noch nie Kontakt zu Pferden. Trotzdem bilden sie sich eine Meinung über den Umgang mit ihnen.“ Soziale Medien befeuern dies und bestärken oft durch bewusste Falschinformationen Menschen die der Ansicht sind, dass Pferde nicht geritten werden sollten. „Wir müssen uns der Kritik an der Nutzung von Pferden und am Sport stellen, nicht emotional, sondern sachlich auf der Basis unseres Wissens. Wir müssen uns selbstkritisch hinterfragen und unser Handeln wissenschaftlich belegen können“, sagte Ploegmakers.

Schon 2015 war deutlich geworden: Die Regelwerke, Leit- und Richtlinien sind klar auf den Tierschutz und das Tierwohl ausgerichtet. Jedoch hapert es noch immer an deren Umsetzung. Über das Durchsetzen von Regeln sprach Lutz Wagner, früherer Bundesliga-Schiedsrichter und nun Koordinator für die Fußball-Schiedsrichterausbildung. Er verdeutlichte die Parallelen zwischen den Referees im Fußball und Richtern im Pferdesport: beide müssen Situationen im Bruchteil einer Sekunde bewerten, sich Respekt und Akzeptanz verschaffen, Vertrauen aufbauen, sich vorbereiten, aber nicht vorbelasten, beobachten und analysieren, und vor allem: schnelle Entscheidungen treffen und umsetzen. Und all dies in Ruhe, denn diese schafft wiederum Ruhe auf dem Platz.

Nach der Methode des World-Cafés ging es anschließend in den gemeinsamen Austausch unter den Leitfragen: Wo liegen die aktuellen Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung der Regelwerke, Leit- und Richtlinien im Pferdesport? Was sind die Ursachen für den aktuellen Zustand? Was ist notwendig, um die Umsetzung der Regelwerke, Leit- und Richtlinien im Sinne des Tierschutzes und des Tierwohls zu verbessern?

Schnell wurde deutlich, dass es gar nicht so einfach ist, die Interessen aller Beteiligten auf einen Nenner zu bekommen. Einig war man sich dennoch in einigen Punkten: Die Richter müssen gestärkt und noch mehr fachlich und pädagogisch geschult werden. Regelwerke müssen kürzer, plakativer und zielgruppengerechter kommuniziert werden. Herausforderungen sind: Die Bindung der Pferdesportler zu ihren Vereinen nimmt ab und Rat wird sich woanders gesucht. Pferdesport ist komplex und zeitintensiv – ein Mangel an solider Grundausbildung ist die Folge. Es besteht Angst vor dem Verlust der Wirtschaftlichkeit von Betrieben. Manche Top-Reiter, auch auf lokaler Ebene, sind sich ihrer Vorbildrolle zu wenig bewusst. Positive Beispiele müssen vermehrt in die Öffentlichkeit gebracht werden und von schwarzen Schafen muss sich klar distanziert werden. Oft fehlt es an Wissen in Politik und Gesellschaft. „Wir müssen uns alle als Tierschützer verstehen, es auch sein und das nach innen und außen tragen“, so eine der zentralen Aussagen.

Am nächsten Morgen ging es in die Praxis. Vielseitigkeitsreiterin Sandra Auffarth, ihre Stute Con Cordia, die Biologin und Pferdewissenschaftlerin Dr. Vivian Gabor und der designierte Leiter des Bundestützpunktes Reiten in Warendorf, Markus Scharmann, gingen der Frage nach, ob Erkenntnisse der Wissenschaft mit der klassischen Reitlehre vereinbar sind. Auffarth berichtete von der langen Vorbereitung ihrer Stute La Vista auf den Start beim Hamburger Derby. Im Anschluss stieg sie in den Sattel und kommentierte ihre Aufwärmphase mit der sechsjährigen Con Cordia, die aufgrund ihrer Anatomie und der ungewohnten Umgebung Schwierigkeiten damit hat sich zu lösen und sich auf ihre Reiterin zu konzentrieren. Doch Auffarth gab ihr genügend Zeit, sorgte mit vielen Übergängen für Abwechslung und absolvierte dann mit der Stute einige Gymnastiksprünge. Auffarth gewährte in der praktischen Demonstration einen Einblick in ihre Ausbildungsphilosophie und zeigte eindrücklich, wie sie das Pferd mit den Grundsätzen der klassischen Reitlehre auf ihre Seite holte. „Manchmal wird es mir ein bisschen viel mit Auswertungen, Statistiken und Messungen, die der Computer hergibt“, sagte die Weltmeisterin von 2014. Viel mehr spielen, wie Auffarth erklärte, das Gefühl für das Pferd und der Gewinn seines Vertrauens die zentrale Rolle. Dr. Vivian Gabor machte deutlich, dass wissenschaftliche Erkenntnisse genau dieses Gefühl der Reiterin wiedergeben. Einzelne Lernschritte von einfachen zu schwierigen Aufgaben an unterschiedlichen Orten, um für Abwechslung und neue Reize zu sorgen und das Lernergebnis zu festigen, seien ein Schlüssel zum Erfolg. „Sandra Auffarth hat uns gezeigt: richtig reiten ist Tierschutz. Und Vivian Gabor hat uns überzeugt, dass die Gefühle, aus denen heraus wir Pferde ausbilden, auch wissenschaftlich belegbar sind“, fasste Lauterbach die Einheit zusammen.

Zum Abschluss der Tagung gewährte Prof. Dr. Wilfried Hopp, leitender Veterinär beim Kreis Soest, einen Einblick in den Alltag eines Amtstierarztes. „Wir sind Beschützergarant für das Wohl der Tiere und verpflichtet, gegen Missstände einzuschreiten“, beschrieb er seine Aufgabe. Dabei stehen er und seine Kollegen ständig in einem Spannungsfeld zwischen den Tierhaltern, die sich oftmals ungerecht behandelt fühlen, und vermeintlichen Tierschützern, denen manche Maßnahmen nicht weit genug gehen. Hopp gab den Teilnehmern noch einmal einen Überblick über das Tierschutzgesetz und die Leitlinien für die Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten. Die Leitlinien geben den Rahmen für die Bauausführung verschiedener Haltungsformen, Fütterung, Pflege und Bewegung von Pferden vor. Sie beantworten Fragen wie: was benötigen Pferde, was müssen wir ihnen geben und wie fügen wir ihnen keinen Schaden zu? „Nur wenn sich das Pferd wohlfühlt, kann es ein hohes Maß an biologischer Leistungsfähigkeit erbringen. Dabei geht es nicht um Zollstocktierschutz, sondern um Beobachtung der Tiere“, sagte Hopp.

Damit leitete er zur abschließenden Diskussionsrunde über, in der es um die Themen „Freie Bewegung“ und „Boxengröße“ ging. Moderiert von Dr. Dennis Peiler, Geschäftsführer des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei, tauschten Prof. Dr. Hopp, Dr. Christiane Müller, Sachverständige für Pferdehaltung, -zucht und -sport, FN-Präsidiumsmitglied sowie Mitautorin der Leitlinien zur Pferdehaltung, Dr. Michael Köhler, Fachtierarzt für Pferde und FEI-Tierarzt, sowie Gerd Sosath, Inhaber des Sport- und Zuchtbetriebes Hof Sosath, ihre Standpunkte aus. Dass Pferde neben der kontrollierten Bewegung unter dem Sattel, an der Longe oder vor dem Wagen auch täglich die Möglichkeit zur freien Bewegung erhalten müssen, darin waren sich alle Teilnehmer einig. Doch wie lange muss diese freie Bewegung dauern und muss sie bei jedem Wetter an der frischen Luft stattfinden? Dazu gingen die Meinungen auseinander. Die Leitlinien lassen dabei einen gewissen Spielraum zu.

Anders bei der Boxengröße: (2xWiderristhöhe)2 – so lautet die in den Leitlinien festgeschriebene Formel. Laut Dr. Christiane Müller das absolute Mindestmaß, damit sich ein Pferd in gestreckter Seitenlage ablegen kann und in den notwendigen Tiefschlaf fallen kann. „Dafür gibt es keine Kompensation, etwa durch ein Außenfenster, Paddock an der Box oder ähnliches“, so Müller. Anders sieht dies Gerd Sosath: „Die Boxengröße ist ein Faktor für die tierschutzgerechte Haltung und sollte nicht übertrieben genau an Zentimetern festgemacht werden. Gesundes Klima, frische Luft und Licht sowie Sichtkontakt zu den anderen Pferden sind mindestens genauso wichtig.“ Für Hopp steht fest: Die Box ist kein notwendiger „Parkplatz“ für das Pferd, sondern sein Wohn- und Schlafzimmer und sollte auch so beschaffen sein, dass es sich wohlfühlt. Auch Pferde "chillen" gerne mal.

 

Ausblick:

Wie auch im Anschluss an die Tierschutztagung 2015 fließen die Ansätze der diesjährigen Tagung in die Arbeit der FN-Gremien ein. „Konkrete Vorschläge, die sofort umgesetzt werden können, werden umgesetzt und verbreitet“, kündigte Soenke Lauterbach an. „Andere Themen werden in Arbeitsgruppen aufgegriffen, jedoch können nicht zu allen Fragen Lösungen gefunden werden. Diese müssen wir aber finden. Einen perfekten Zustand werden wir wohl nie erreichen. Aber wir müssen darauf hinarbeiten.“

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